Geburtsbericht
Ich habe lange hin & her überlegt, ob ich einen Geburtsbericht schreiben soll. Wie ihr seht, habe ich mich dafür entschieden. Weil ich Geburtswegen wie unserem & Frauen wie mir eine Stimme geben möchte. Wenn du dich gerade auf die Geburt deines ersten Kindes vorbereitest, ist es vielleicht besser, den Bericht zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu lesen. Ich widme ihn ganz besonders
- allen Kaiserschnittmamas, die bei allem Glück & aller Dankbarkeit für ein gesundes Kind traurig sind über den Geburtsweg
- allen Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben & nun gefordert sind, das Erlebte mit Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt & Elternschaft zu vereinbaren
Die Geburt meiner grossen Tochter endete nach Geburtsstillstand nach 20 Stunden heftiger Wehen in einer Sectio unter Vollnarkose. Ich fühlte mich wie gegen die Wand gefahren. Passiv. Dem Geschehen ausgeliefert. Ihre Geburt hatte mit mir nichts zu tun, sie wurde aus meinem Körper herausgeschnitten, ohne dass ich da war. Eine problemlose & wunderschöne Stillbeziehung hat mich ein wenig versöhnt mit ihrem Weg auf die Welt & wir haben eine innige, tragfähige Bindung. Ich bin wahnsinnig gerne Mutter. Aber es blieb das Gefühl zurück, versagt zu haben, unfähig zu sein. Das Erleben dieses Kontrollverlustes & Empfindens der eigenen Nicht-Existenz haben schmerzhafte Erinnerungen & Gefühle an die erlebte sexualisierte Gewalt (die ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich therapeutisch verarbeitet glaubte) in meiner Kindheit & Jugend an die Oberfläche gespült. Diesen Knotenpunkten bin ich mit etwas zeitlichem Abstand mit professioneller Hilfe auf die Spur und habe daran gearbeitet, die erlebte Gewalt und die Ur-Gewalt (im positiven Sinn) einer Schwangerschaft und Geburt auseinander zu halten.
Als ich das Glück hatte, mit KB noch einmal schwanger zu werden, wollte ich alles dransetzen, mein zweites Kind spontan auf die Welt bringen zu können. Ich setzte mich intensiv mit der Geburtsmechanik und mit möglichen Ursachen für einen Geburtsstillstand auseinander. Auf dieser Grundlage stellte ich in Absprache mit meiner Hebamme und einer Osteopathin ein tägliches Übungsprogramm zusammen, welches insbesondere die bindegewebigen und muskulären Verhältnisse im Becken optimieren sollte. Die Osteopathin besuchte ich zusätzlich für einige Sitzungen und ich achtete sehr auf meine Körperhaltung - kein nach hinten gekipptes Becken beim Sitzen, variable Sitzhaltungen, tiefe Hocke und Vierfüsslerstand bei alltäglichen Aktivitäten.
Ab der 33. Woche hatte ich leicht schmerzhafte Kontraktionen, die ich als Senkwehen einzuordnen versuchte. Erst kamen sie sporadisch, mal für eine oder zwei Stunden am Tag, dann einige Tage Pause. Dann wurden die Intervalle länger und die kontraktionsfreien Zeiten kürzer, ab 37+5 hatte ich täglich Wehen und ab 38+2 kamen sie, um zu bleiben :-) Sie liessen sich nicht länger ignorieren, ich musste stehen bleiben, aufhören zu sprechen, atmen. Ich freute mich. Es war ermüdend und aufregend zugleich. 38+2 war der Freitag, 3. Februar. Mittags beschlossen mein Mann und ich, die werdende grosse Schwester zu den Grosseltern zu bringen. Ich wehte vor mich hin, hängte mich auf einer Runde über die Hügel alle 5 Minuten an meinen Mann. Gegen Abend kam die Hebamme. Ihr mobiles CTG zeigte hübsch regelmässige Wehen, Herztöne waren prima. Dann untersuchte sie mich: Der Kopf des Spatzpiraten weit ab vom Becken, kaum Druck auf den Muttermund, der zwar fingerdurchlässig war, aber ganz weit hinten & mit etwa 1 cm Portio... Frust. Die Hebamme liess mir ein Bad ein & gab mir ein Buscopanzäpfchen. Wir machten aus, am nächsten Tag zu telefonieren.
Die Wehen liessen etwas nach, blieben aber nie ganz aus, begleiteten mich am Samstag und Sonntag. Ich schwamm in einer Blase aus Vorfreude, Angst, Erwartung & Müdigkeit. Nach einer durchwachten und durchwehten Nacht entschieden wir am Montagmorgen, in die Belegklinik zu fahren. Befund bei Ankunft derselbe wie am Freitag - Kopf Lichtjahre vom Becken bei regelmässigen Wehen guter Stärke. Ernüchterung. Besprechung mit Hebamme & Arzt. Wir entschieden, mit einem Wehentropf zu versuchen, etwas Fahrt bzw. Ins-Becken-Rutsch in das Geschehen zu bringen. Ich sprach gut darauf an, die Wehen verstärkten sich, die Abstände wurden kürzer. Ich stieg in die Wanne, liess mich im Wasser auf den Wehenwellen treiben. Es war intensiv, es tat weh, aber ich war da, genau da, wo ich sein wollte, dabei, mein Kind zur Welt zu bringen.
Um 16 Uhr platzte die Fruchtblase. Wir freuten uns, es ging voran! Als die Hebamme mich untersuchte, nahm die euphorische Stimmung ein jähes Ende. Befund unverändert. Die Hebamme zog den Arzt hinzu & der meinte, dass in solchen Situationen manchmal eine PDA helfen könne, indem sie die durch die lange Wehenzeit stark beanspruchte Muskulatur des Beckenbodens quasi "weich" mache & so dem Baby den Weg nach unten erleichtere. Ich stimmte zu. Das Stechen klappte problemlos. Die eine Seite war zwar tauber als die andere, aber der Wehenschmerz wurde dumpfer bei gleichbleibendem CTG.
Gegen sieben untersuchte die Hebamme mich wieder. Befund unverändert. Mein Mann hielt mich ganz fest, es schüttelte mich, ich weinte & verabschiedete mich von meinem Wunsch einer Spontangeburt.
Mein Mann zog sich um, ich wurde vorbereitet & in den OP gerollt. Die PDA wurde aufgespritzt. Ich würde wach sein, wenn mein Sohn zur Welt kam, ich war so gespannt auf ihn & konnte das Kuscheln & Kennenlernen ausserbauch kaum erwarten. Das Aufspritzen dauerte länger als erwartet, schliesslich gab die Anästhesie grünes Licht.
Nach einigen Minuten zuckte ich das erste Mal zusammen, ich spürte ein leichtes Brennen im Bauch. "Es ist normal, dass sie spüren, dass wir am Arbeiten sind, alles ok, ihr Baby ist gleich da." Das brennende Gefühl nahm zu, wurde zu Schmerz, der keine Farbe hat. Die PDA sass nicht richtig. Die Hebamme berichtete später, dass mein Blutdruck total abgesackt war & zusätzlich aufgrund der bereits hohen Dosis an Anästhesiemittel via PDA auf eine Vollnarkose verzichtet werden musste. Der Anästhesist spritzte kurzzeitig wirksame Morphine sowie blutdruckstabilisierende Medikamente. Ich kämpfte. Nicht mit den Schmerzen, die waren so übermächtig, dass ich mich einfach ergab. Ich kämpfte, da zu bleiben, mir ein Stück Bewusstsein zu erhalten, in Verbindung zu meinem Kind zu bleiben. Es gelang, der Faden zu meinem Sohn riss nicht ab.
Dann war er da. Mit seinen 4390 Gramm zu gross für das Bonding Top, das ich trug. Die Hebamme & mein Mann hielten ihn an mein Gesicht. Du bist da! Diesen Moment habe ich intensiv & ganz klar in Erinnerung, danach nahm der Nebel aus Schmerz & Opiaten die Oberhand. Beim Umlagern vom OP-Tisch auf das Bett begann ich zu zittern, die ersten Nachwehen setzten ein, mein Körper bäumte sich auf & gab unkontrollierte Laute von sich. Ich bekam erneut etwas gespritzt & war zum ersten Mal einen Moment lang komplett weg.
Ich bin wieder da. Mein Mann an meiner Seite. Wir begrüssen unseren Sohn & geben ihm seinen Namen. Dann dockt er zum ersten Mal an & erweist sich wie schon seine Schwester als Naturtalent im Stillen.
Das klingt jetzt etwas irr, aber: So grauenhaft die Erfahrung dieser Sectio ohne taugliche Narkose war, so dankbar bin ich dafür, nicht den Filmriss einer Vollnarkose gehabt zu haben.
Nach 5 Tagen gehen wir nach Hause. Die Erholung verläuft gut, ätzend nach Kaiserschnitt, das erste Aufstehen, aber es wird jeden Tag besser. Und das Gefühl bleibt - ich war da. Mein Sohn wurde nicht einfach entbunden ohne mein Zutun. Ich habe ihn geboren.
Noch jemand da? Ob diesen Monsterbericht jemand liest? Mir hat es gut getan, ihn zu verfassen.
Alles Liebe
Linnea.
Ich habe lange hin & her überlegt, ob ich einen Geburtsbericht schreiben soll. Wie ihr seht, habe ich mich dafür entschieden. Weil ich Geburtswegen wie unserem & Frauen wie mir eine Stimme geben möchte. Wenn du dich gerade auf die Geburt deines ersten Kindes vorbereitest, ist es vielleicht besser, den Bericht zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu lesen. Ich widme ihn ganz besonders
- allen Kaiserschnittmamas, die bei allem Glück & aller Dankbarkeit für ein gesundes Kind traurig sind über den Geburtsweg
- allen Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben & nun gefordert sind, das Erlebte mit Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt & Elternschaft zu vereinbaren
Die Geburt meiner grossen Tochter endete nach Geburtsstillstand nach 20 Stunden heftiger Wehen in einer Sectio unter Vollnarkose. Ich fühlte mich wie gegen die Wand gefahren. Passiv. Dem Geschehen ausgeliefert. Ihre Geburt hatte mit mir nichts zu tun, sie wurde aus meinem Körper herausgeschnitten, ohne dass ich da war. Eine problemlose & wunderschöne Stillbeziehung hat mich ein wenig versöhnt mit ihrem Weg auf die Welt & wir haben eine innige, tragfähige Bindung. Ich bin wahnsinnig gerne Mutter. Aber es blieb das Gefühl zurück, versagt zu haben, unfähig zu sein. Das Erleben dieses Kontrollverlustes & Empfindens der eigenen Nicht-Existenz haben schmerzhafte Erinnerungen & Gefühle an die erlebte sexualisierte Gewalt (die ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich therapeutisch verarbeitet glaubte) in meiner Kindheit & Jugend an die Oberfläche gespült. Diesen Knotenpunkten bin ich mit etwas zeitlichem Abstand mit professioneller Hilfe auf die Spur und habe daran gearbeitet, die erlebte Gewalt und die Ur-Gewalt (im positiven Sinn) einer Schwangerschaft und Geburt auseinander zu halten.
Als ich das Glück hatte, mit KB noch einmal schwanger zu werden, wollte ich alles dransetzen, mein zweites Kind spontan auf die Welt bringen zu können. Ich setzte mich intensiv mit der Geburtsmechanik und mit möglichen Ursachen für einen Geburtsstillstand auseinander. Auf dieser Grundlage stellte ich in Absprache mit meiner Hebamme und einer Osteopathin ein tägliches Übungsprogramm zusammen, welches insbesondere die bindegewebigen und muskulären Verhältnisse im Becken optimieren sollte. Die Osteopathin besuchte ich zusätzlich für einige Sitzungen und ich achtete sehr auf meine Körperhaltung - kein nach hinten gekipptes Becken beim Sitzen, variable Sitzhaltungen, tiefe Hocke und Vierfüsslerstand bei alltäglichen Aktivitäten.
Ab der 33. Woche hatte ich leicht schmerzhafte Kontraktionen, die ich als Senkwehen einzuordnen versuchte. Erst kamen sie sporadisch, mal für eine oder zwei Stunden am Tag, dann einige Tage Pause. Dann wurden die Intervalle länger und die kontraktionsfreien Zeiten kürzer, ab 37+5 hatte ich täglich Wehen und ab 38+2 kamen sie, um zu bleiben :-) Sie liessen sich nicht länger ignorieren, ich musste stehen bleiben, aufhören zu sprechen, atmen. Ich freute mich. Es war ermüdend und aufregend zugleich. 38+2 war der Freitag, 3. Februar. Mittags beschlossen mein Mann und ich, die werdende grosse Schwester zu den Grosseltern zu bringen. Ich wehte vor mich hin, hängte mich auf einer Runde über die Hügel alle 5 Minuten an meinen Mann. Gegen Abend kam die Hebamme. Ihr mobiles CTG zeigte hübsch regelmässige Wehen, Herztöne waren prima. Dann untersuchte sie mich: Der Kopf des Spatzpiraten weit ab vom Becken, kaum Druck auf den Muttermund, der zwar fingerdurchlässig war, aber ganz weit hinten & mit etwa 1 cm Portio... Frust. Die Hebamme liess mir ein Bad ein & gab mir ein Buscopanzäpfchen. Wir machten aus, am nächsten Tag zu telefonieren.
Die Wehen liessen etwas nach, blieben aber nie ganz aus, begleiteten mich am Samstag und Sonntag. Ich schwamm in einer Blase aus Vorfreude, Angst, Erwartung & Müdigkeit. Nach einer durchwachten und durchwehten Nacht entschieden wir am Montagmorgen, in die Belegklinik zu fahren. Befund bei Ankunft derselbe wie am Freitag - Kopf Lichtjahre vom Becken bei regelmässigen Wehen guter Stärke. Ernüchterung. Besprechung mit Hebamme & Arzt. Wir entschieden, mit einem Wehentropf zu versuchen, etwas Fahrt bzw. Ins-Becken-Rutsch in das Geschehen zu bringen. Ich sprach gut darauf an, die Wehen verstärkten sich, die Abstände wurden kürzer. Ich stieg in die Wanne, liess mich im Wasser auf den Wehenwellen treiben. Es war intensiv, es tat weh, aber ich war da, genau da, wo ich sein wollte, dabei, mein Kind zur Welt zu bringen.
Um 16 Uhr platzte die Fruchtblase. Wir freuten uns, es ging voran! Als die Hebamme mich untersuchte, nahm die euphorische Stimmung ein jähes Ende. Befund unverändert. Die Hebamme zog den Arzt hinzu & der meinte, dass in solchen Situationen manchmal eine PDA helfen könne, indem sie die durch die lange Wehenzeit stark beanspruchte Muskulatur des Beckenbodens quasi "weich" mache & so dem Baby den Weg nach unten erleichtere. Ich stimmte zu. Das Stechen klappte problemlos. Die eine Seite war zwar tauber als die andere, aber der Wehenschmerz wurde dumpfer bei gleichbleibendem CTG.
Gegen sieben untersuchte die Hebamme mich wieder. Befund unverändert. Mein Mann hielt mich ganz fest, es schüttelte mich, ich weinte & verabschiedete mich von meinem Wunsch einer Spontangeburt.
Mein Mann zog sich um, ich wurde vorbereitet & in den OP gerollt. Die PDA wurde aufgespritzt. Ich würde wach sein, wenn mein Sohn zur Welt kam, ich war so gespannt auf ihn & konnte das Kuscheln & Kennenlernen ausserbauch kaum erwarten. Das Aufspritzen dauerte länger als erwartet, schliesslich gab die Anästhesie grünes Licht.
Nach einigen Minuten zuckte ich das erste Mal zusammen, ich spürte ein leichtes Brennen im Bauch. "Es ist normal, dass sie spüren, dass wir am Arbeiten sind, alles ok, ihr Baby ist gleich da." Das brennende Gefühl nahm zu, wurde zu Schmerz, der keine Farbe hat. Die PDA sass nicht richtig. Die Hebamme berichtete später, dass mein Blutdruck total abgesackt war & zusätzlich aufgrund der bereits hohen Dosis an Anästhesiemittel via PDA auf eine Vollnarkose verzichtet werden musste. Der Anästhesist spritzte kurzzeitig wirksame Morphine sowie blutdruckstabilisierende Medikamente. Ich kämpfte. Nicht mit den Schmerzen, die waren so übermächtig, dass ich mich einfach ergab. Ich kämpfte, da zu bleiben, mir ein Stück Bewusstsein zu erhalten, in Verbindung zu meinem Kind zu bleiben. Es gelang, der Faden zu meinem Sohn riss nicht ab.
Dann war er da. Mit seinen 4390 Gramm zu gross für das Bonding Top, das ich trug. Die Hebamme & mein Mann hielten ihn an mein Gesicht. Du bist da! Diesen Moment habe ich intensiv & ganz klar in Erinnerung, danach nahm der Nebel aus Schmerz & Opiaten die Oberhand. Beim Umlagern vom OP-Tisch auf das Bett begann ich zu zittern, die ersten Nachwehen setzten ein, mein Körper bäumte sich auf & gab unkontrollierte Laute von sich. Ich bekam erneut etwas gespritzt & war zum ersten Mal einen Moment lang komplett weg.
Ich bin wieder da. Mein Mann an meiner Seite. Wir begrüssen unseren Sohn & geben ihm seinen Namen. Dann dockt er zum ersten Mal an & erweist sich wie schon seine Schwester als Naturtalent im Stillen.
Das klingt jetzt etwas irr, aber: So grauenhaft die Erfahrung dieser Sectio ohne taugliche Narkose war, so dankbar bin ich dafür, nicht den Filmriss einer Vollnarkose gehabt zu haben.
Nach 5 Tagen gehen wir nach Hause. Die Erholung verläuft gut, ätzend nach Kaiserschnitt, das erste Aufstehen, aber es wird jeden Tag besser. Und das Gefühl bleibt - ich war da. Mein Sohn wurde nicht einfach entbunden ohne mein Zutun. Ich habe ihn geboren.
Noch jemand da? Ob diesen Monsterbericht jemand liest? Mir hat es gut getan, ihn zu verfassen.
Alles Liebe
Linnea.